Nach der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post im Inland übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
Nach einem aktuellen Urteil des Finanzgerichts Münster vom 11.05.2023 (Az. 8 K 520/22 E) entfällt die Zugangsvermutung auch dann nicht, wenn innerhalb des 3-Tages-Zeitraums planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Postzustellung stattfindet.
Im Entscheidungsfall hatte das Finanzamt den Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 28. Januar 2022 (einem Freitag) zurückgewiesen. Im Rahmen der Klageschrift, welche beim Gericht am 3. März 2022 einging, gab der Kläger an, dass die Einspruchsentscheidung am 3. Februar 2022 (einem Donnerstag) bei seinem Bevollmächtigten zugegangen sei. Der vom Finanzamt eingesetzte Postdienstleister stellt an der Kanzleianschrift des Bevollmächtigten an Samstagen keine Post zu.
Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klage sei verfristet erhoben worden, da nach der gesetzlichen Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO die Einspruchsentscheidung am 31. Januar 2022 (einem Montag) als bekanntgegeben gelte. Die Drei-Tages-Fiktion sei auch anwendbar. Aus Sicht des Senats stand fest, dass die per einfachem Brief versandte Einspruchsentscheidung am 28. Januar 2022 zur Post aufgegeben wurde. Hierfür stützte sich der Senat zum einen auf die Schilderung des Finanzamtes zur Organisation des finanzamtsinternen Postablaufs und zum anderen auf vom Postdienstleister eingeholte Auskünfte inklusive vorgelegter Sendungsdetails zweier in Frage kommender Postsendungen.
Dem Kläger sei es demgegenüber nicht gelungen, berechtigte Zweifel an der gesetzlichen Bekanntgabefiktion zu begründen. Hierfür reiche ein abweichender Eingangsvermerk wie z.B. der auf der Einspruchsentscheidung angebrachte Eingangsstempel der Kanzlei des Bevollmächtigten nicht aus. Auch habe nicht festgestellt werden können, welche Mitarbeiterin des Bevollmächtigten das Eingangsdatum auf der Einspruchsentscheidung aufgebracht hatte. Der vom Kläger geltend gemachten generellen Unzuverlässigkeit des vom Finanzamt eingesetzten Postdienstleisters sei unter Hinweis auf die vom Postdienstleister vorgelegten Postlaufzeitmessungen nicht zu folgen.
Bei einer vom Postdienstleister erzielten Zustellquote von 95,5 % für den Zeitraum zwischen Einlieferungstag und dem zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag könne trotz zweier zustellfreier Tage (Samstag und Sonntag) auch nicht (generell) von einer atypischen Konstellation ausgegangen werden, die die 3-Tages-Fiktion ohne Vorliegen weiterer Umstände entkräfte.
Das Finanzgericht Münster weicht damit von der Rechtsprechung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg im Urteil vom 24.08.2022 (Az. 7 K 7045/20; Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) unter Az.VI R 18/22 anhängig) ab und hat deshalb die Revision zum BFH zugelassen.
(Newsletter Juni 2023 FG Münster)
Zum Volltext der Entscheidung des FG Münster vom 11.05.2023 (Az. 8 K 520/22 E) gelangen Sie hier.